Die erste Pride in Tbilisi

“We are affected and concerned by the poverty, unemployment, occupation and social inequality in Georgia.”  Tbilisi Pride

Am 08. Juli 2019 war es soweit: die erste Pride Demonstration in Georgien fand endlich statt! Ungefähr vierzig Aktivist*innen fanden sich vor dem Ministerium für Innere Angelegenheiten in Tbilisi ein und demonstrierten für gleiche Rechte, gegen Homo- und Transphobie und vor allem auch gegen die Politik des Staates.

Anders als in einigen europäischen Ländern, in denen die Pride Paraden zu einem fast entpolitisierten Massenevent verkommen sind (bspw. Berlin), gab es im Vorfeld der Pride in Tbilisi einige Komplikationen. Wie kritikabel es auch ist, nur im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft für gleiche Rechte, also die gleiche Ausbeutung, wie sie (heterosexuelle) cis-Männer erfahren, zu demonstrieren, bedeutet eben dieses Kämpfen in autoritären Staaten einen Kampf ums Ganze, zuweilen um Leben und Tod. Auch in Georgien ist der Kampf für gleiche bürgerliche Rechte einer, der an die Substanz geht.

Aber was war passiert? Eigentlich war die erste Pride Parade in der Geschichte Georgiens für den 22. Juni angesetzt gewesen. Im Vorfeld kam es jedoch zu Protesten vor dem Parlament. Auslöser hierfür war die Eröffnung einer Parlamentssitzung zu Orthodoxie durch den russischen christlich-orthodoxen Abgeordnete Gavrilov, während er auf einem Sitz saß, der für georgische Parlamentarier*innen reserviert war. Im Folgenden protestierten Zehntausende gegen die Regierung und ihre schon seit Langem kritisierte pro-russische Politik. Forderungen zum Rücktritt des Innenministers Giorgi Gakharia wurden laut. Die Proteste wurden jedoch durch den Staat und seine Polizei gewaltsam niedergeschlagen. Es gab hunderte Verletzte, die medizinisch versorgt werden mussten. Zwei Menschen verloren sogar auf einem Auge ihr Augenlicht.

Diese Proteste reihten sich ein in den allgemeinen politischen Konflikt in Georgien, wurden jedoch zusehends grundlegend regierungskritisch.

Schon seit Jahren gibt es eine gewaltige Bedrohung der LGBTIQ-Community durch Nationalisten und Neo-Nazis. Die christlich-orthodoxe Kirche wollte die Pride verbieten lassen. Im Vorfeld intensivierte sich auch diese Bedrohungen zunehmend und der Staat stellte sich in keiner schützenden Weise vor die Pride Organisator*innen.

Wegen der Unruhen konnten die Organisator*innen nicht für die Sicherheit der Demonstrierenden garantieren und sagten die Pride Parade für den 22. Juni ab. Danach wurde das Innenministerium angefragt, wann es eine Zusammenarbeit zur Durchführung der Parade geben könnte. Der Staat verwehrte jedoch jede Zusammenarbeit, antwortete den Organisator*innen nicht, und ließ am 07. Juli verkünden, der Tbilisi Pride is “staging a provocation“. Sie wurde mit den regierungskritischen Protesten assoziiert. Somit wurde die Pride mehr als sowieso schon zu einer fundamental regierungskritischen Veranstaltung. In dieser Radikalität war dies vorher nicht geplant gewesen, was auch die vorherigen Anfragen an das Innenministerium zur Zusammenarbeit zeigt.

Am Tag selber gab es dann auch zwei Demonstrationen. Einmal die kleine Pride Demonstration vor dem Innenministerium und aber auch eine nationalistische Demonstration.

Auch wenn die Pride in einem anderen Rahmen stattgefunden hat, als geplant, ist sie nach wie vor ein Erfolg. Es ist ein Erfolg, dass die Demonstrierenden sich auf der Straße eingefunden und den Mut gefunden haben gemeinsam solidarisch zu kämpfen. Es ist ein Erfolg, dass die Diskussionen über LGBTIQ-Themen mehr Einzug in die Gesellschaft gefunden und somit mehr Sichtbarkeit erreicht haben. Der Erfolg ist also eine sichtbare Gegenwehr gegen die herrschenden Zustände.

Nicht zuletzt kann man sich vor Augen führen, dass wir von einem Nationalstaat, welcher nur seine eigenen Machtineressen im Fokus hat, keine Veränderungen erwarten sollten. Es ist ein Ausdruck der Politik des Landes, das sich nach außen liberal gibt, um der EU beitreten zu können, gleichzeitig jedoch seine eigenen Machtinteressen verfolgt und nationalistische Ideale vertritt, die in der georgischen Gesellschaft weit verbreitet sind. So folgern auch die Organisator*innen der Pride: „The ruling party simply does not have a political will to ensure its LGBTIQ citizens’ right of peaceful assembly“.

Wir unterstützen die progressiven Kräfte in Georgien, die gezeigt haben, dass wir selbst unsere Forderungen auf die Straße tragen müssen um ihnen Gehör zu verschaffen und sie sichtbar zu machen.

Zum Weiterlesen:

Das Statement von Tbilisi Pride: https://www.facebook.com/notes/tbilisi-pride/%E1%83%92%E1%83%90%E1%83%9C%E1%83%AA%E1%83%AE%E1%83%90%E1%83%93%E1%83%94%E1%83%91%E1%83%90-%E1%83%A6%E1%83%98%E1%83%A0%E1%83%A1%E1%83%94%E1%83%91%E1%83%98%E1%83%A1-%E1%83%9B%E1%83%90%E1%83%A0%E1%83%A8%E1%83%98/631767883994068/

Rückschau der Ereignisse im Vorfeld der und rund um die Pride:

https://civil.ge/archives/312441

https://civil.ge/archives/312596?fbclid=IwAR3kF3ue6mEjWLXbzCjpN-6WrZcoD43u73MqkdkoM8X_pGn4yPwdtNjEn38

https://civil.ge/archives/312441

Zur Causa Gavrilov:

https://jam-news.net/who-is-the-russian-orthodox-communist-who-provoked-protests-in-tbilisi/

  • nb
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